Ledertypische Naturmerkmale

Aktenzeichen 2 O 458/92 Landgericht Berlin vom 17.02.1993

 

Die Beklagte wird verurteilt, an den Klägerischen den Kaufbetrag nebst 4% Zinsen seit dem 08.10.1992 Zug um Zug gegen Rückgabe der Polsterecke, Bezug Leder, Typ: 45 Brasil, rotbraun, bestehend aus ein Sofa dreisitzig, ein Sofa zweisitzig, ein Sessel, zu zahlen.

 

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug mit der Rückgabe der in Ziffer 1 bezeichneten Polsterecke befindet.

 

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

 

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

 

                                                                                                                       Tatbestand

 

Der Kläger erwarb bei der Beklagten im Oktober 1991 eine Leder-Sitzgarnitur, bestehend aus zwei Sofas und ein Sessel. Nach der Auslieferung der Sitzgarnitur am 23. März 1992 stellte der Kläger fest, dass auf der Armlehne des Dreiersitzer-Sofas ein Fleck von etwa 24 x 15 cm Größe vorhanden war und die beiden Sitzkissen des Zweiersitzer-Sofas eine unterschiedliche Farbgebung aufwiesen. Die entsprechenden Beanstandungen des Klägers wies die Beklagte – nach vorangegangenem Schriftwechsel – mit Schreiben vom 15. Juni 1992 zurück und lehnte eine Nachbesserung bzw. Ersatzlieferung ab. Daraufhin erklärte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 30. Juni 1992 die Wandlung des Vertrages.

 

Der Kläger behauptet, der Fleck auf der Armlehne des Dreiersitzer-Sofas und der Farbunterschied an den Farbkissen des Zweiersitzer-Sofas seien erhebliche Mängel, die zur Wandlung berechtigten.

 

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn den Kaufbetrag nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung Zug um Zug gegen Rückgabe der Polsterecke Bezug Leder Lavalina 45 Brasil, rotbraun, bestehend aus ein Sofa 3-Sitzig, ein Sifa 2-Sitzig und ein Sessel zu zahlen und festzustellen, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet, hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rückgabe des Zweiersitzer-Sofas, cirka 140 cm, Bezug Leder, Lavalina 45 Brasil, rotbraun, zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Handelt es sich um ledertypische Naturmerkmale?

Die Beklagte behauptet, bei dem Fleck und dem Farbunterschied handele es sich um ledertypische Naturmerkmale, die handelsüblich seien und keiner berechtigten Reklamationen bei Leder darstellten.

 

Das Gericht hat aufgrund des Beschlusses vom 30. Dezember 1992 Beweis gemäß § 358 a ZPO durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vom 26. Januar 1993 (Bl. 41-43 d.A.) Bezug genommen.

 

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

 

Die Klage ist im vollem Umfang begründet.

 

Dem Kläger steht der mit seinem Hauptantrag geltend gemachte Zahlungsanspruch aufgrund der zu Recht erklärten Wandlung des Kaufvertrages zu (§§ 459, 462, 346 BGB).

 

Gemäß §§ 459 Abs. 1 462 BGB kann der Käufer den Kaufvertrag wandeln, wenn die Kaufsache mit einem Fehler behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder nach dem Vertrage vorausgesetzten Gebrauch aufhebt oder nicht unerheblich mindert. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

 

Aufgrund des zu Beweiszwecken eingeholten Gutachtens des sachverständigen steht fest, dass der Farbunterschied an den Sitzkissen des Zweiersitzer-Sofas nicht mehr im Toleranzbereich für vergleichbare Ledergarnituren liegt. Dieses Ergebnis wird durch die vom Kläger eingereichten Fotos, die in der mündlichen Verhandlung in Augenschein genommen worden sind, bestätigt. Darauf ist der Farbunterschied mit bloßem Auge deutlich zu erkennen. Auch der Sachverständige hat festgestellt, dass der Farbunterschied im Sichtbereich des Betrachters liegt und mit dem bloßen Auge sofort erkennbar ist. Der Sachverständige hat die Wertminderung hinsichtlich des Farbunterschiedes mit 50% zu Kaufpreis des Zweiersitzer-Sofas angegeben. Damit steht fest, dass es sich insoweit um eine erhebliche Wertminderung handelt.

Es handelt sich um Mistplatten und sichtbare Adern

Nach den von dem Sachverständigen hinsichtlich des Dreiersitzer-Sofas getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Fleck auf der Armlehne einen Mangel im Rechtssinne darstellt. Der Sachverständige hat die sich aus den von dem Kläger eingereichten Fotos eindeutig ersichtlichen Flecken ebenfalls erkannt und durch mikroskopische Untersuchungen festgestellt, dass es sich um sogenannte Mistplatten und verstärkt sichtbare Adern handelt. Zwar sind diese Stellen nach der Einschätzung des Sachverständigen als ledertypische Naturmerkmale anzusehen, die vom Kunden hinzunehmen seien. Diese Einschätzung ist jedoch für das Gericht nicht bindend. Bei der Beurteilung, ob eine Sache mangelhaft ist, kommt es in rechtlicher Hinsicht entscheidend darauf an, inwieweit eine nicht unerhebliche Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der Soll-Beschaffenheit vorliegt. Bei einem Ledersofa mit einem Einzelverkaufspreis von – unstreitig – 3.500,- DM sind dem Kunden ledertypische Naturmerkmale, die sich dem objektiven Betrachter als hässliche Flecken darbieten, jedenfalls dann nicht mehr zuzumuten, wenn diese – wie hier – im Sichtbereich liegen.

 

Obwohl Mängel lediglich hinsichtlich der beiden Sofas bewiesen sind, während Mängel an dem Sessel nicht ersichtlich sind, kann der Kläger den Kaufvertrag über die Sitzgarnitur insgesamt, das heißt einschließlich des Sessels, rückgängig machen. Bei dem Kauf der Ledersitzgarnitur handelt es sich um den Kauf einer einheitlichen Sache, so dass § 469 BGB, der bei dem Verkauf mehrerer Sachen ein Einzelwandlungsrecht vorsieht, wenn lediglich einzelne Sachen mangelhaft sind, nicht zur Anwendung kommt. § 469 BGB ist nicht anwendbar, wenn einzelne Bestandteile einer einheitlichen Sache mangelhaft sind (Staudinger/Honsell, BGB Komm. 12. Aufl. § 469 Rdnr. 1; BGH NJW 1972, 155 unter II. 1 und 2.). Für die Beurteilung der Frage, ob eine einheitliche, aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzte Kaufsache vorliegt, ist auf den Willen der Vertragsparteien abzustellen (OLG München NJW RR 1992, 1269, 1270 r. Sp.). Da insoweit ausdrückliche Absprachen der Parteien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, kommt vorliegend lediglich eine stillschweigende Vereinbarung in Betracht.

 

Dabei sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Im Streitfall begründet die einheitliche Vertragsurkunde, das heißt der Lieferschein/Rechnung vom 23. März 1992 der unstreitig den zunächst mündlich vereinbarte Vertragsinhalt, zugrunde lag die tatsächliche Vermutung für einen auf eine einheitliche Kaufsache gerichteten Vertrag. Ausweislich des Lieferscheins/Rechnung ist eine „Polsterecke“ verkauft worden, und nicht lediglich drei einzelne Sitzmöbel. Ferner ergibt sich aus dem Lieferschein/Rechnung, dass die Polsterecke zu einem Gesamtpreis in Höhe von 8.027,- DM, der auf der Urkunde gesondert ausgewiesen ist, angeboten wurde. Es kommt hinzu, dass die Sitzgarnitur ersichtlich nach den Vorstellungen des Klägers zusammengestellt worden ist. Ausweislich der Lieferscheins/Rechnung hat der Kläger das Dreisitzer-Sofa gegen einen Aufpreis in der Ausführung gewählt, bei der der Rücken des Sofas in Leder ausgeführt ist.

Ohne Nachteil für den Käufer

Die für die Einheitlichkeit des Geschäfts sprechende Vermutung wird durch objektive Umstände nicht widerlegt. Das die Ledersitzgarnitur in der streitgegenständlichen Zusammenstellung häufiger verkauft wird bzw. einzelne Bestandteile beliebig austauschbar oder anders kombinierbar sind, vermag die Vermutung einer vereinbarten unteilbaren Gesamtleistung nicht zu entkräften.

 

Selbst wenn man hier die Sitzgarnitur nicht als einheitliche Kaufsache, sondern als Kauf mehrerer Sachen beurteilen wollte, würde sich an dem Gesamtwandlungsrecht des Klägers nichts ändern. Denn nach § 469 Satz 2 kann Gesamtwandlung verlangt werden, wenn mehrere sachen „als zusammengehörend“ verkauft werden und die mangelhaften Sachen nicht ohne Nachteil für den Käufer von den übrigen getrennt werden können. Das die beiden Sofas und der Sessel als zusammengehörend verkauft wurden, ist ohne weiteres anzunehmen (vgl. Staudinger-Honsel a.a.O. § 469 Rdn. 3; Soergel/Huber, BGB Kommentar 12. Aufl., § 469 Rdn. 4 und 5).

 

Als für den Käufer nachteilig wird die Trennung dann angesehen, wenn sich durch die Beschaffenheit von Ersatzstücken die ursprüngliche Gleichmäßigkeit nicht herstellen lässt (Soergel/Huber, a.a.O. § 469 Rdn. 7 m.w.n.). Da die Sitzgarnitur nunmehr nahezu 1 Jahr alt ist, ist nach der Lebenserfahrung ohne weiteres davon auszugehen, dass der Kläger bei der Ersatzbeschaffung für die beiden mangelhaften Sofas auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen dürfte, zumal zwischenzeitlich Farbänderungen eingetreten sein dürften und auch Ledersitzgarnituren einem modischen Wandel unterworfen sind, der es schwierig macht, identische Werkstücke ausfindig zu machen.

 

Der geltend gemachte Zinsanspruch steht dem Kläger gemäß §§ 291 Satz 1, 288 Abs. 1 Satz BGB zu.

 

Auch der Klageantrag zu 2), mit dem Kläger die Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten begehrt, ist begründet (§ 295BGB). Eines wörtlichen Angebots des Klägers an die beklagte, die Ledersitzgarnitur zur Verfügung zu stellen, bedurfte es nicht mehr, nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 15. Juni 1992 die Rücknahme der Sitzgarnitur endgültig verweigert hatte (vgl. Palandt Heinrichs, BGB Kommentar 51 Aufl. § 295 Rdn. 4). Das für den Feststellungsantrag erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO ergibt sich aus § 274 Abs. 2 BGB, §§ 728 Abs.2, 756 ZPO.

 

Nach alledem war die Klage in vollem Umfang sttzugeben.

 

Die entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

 

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 ZPO.

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